Interdisziplinäre Kollaboration ist der Schlüssel, um komplexe Aufgaben zu lösen. Gleichzeitig ist die Kommunikation und Zusammenarbeit von Akteuren in einer solchen Kollaboration selbst gekennzeichnet durch vielschichtige dynamische Prozesse, die nicht immer leicht zu überblicken sind.
Das ID+Lab erforscht die Strukturen interdisziplinärer Zusammenarbeit, um sie besser zu verstehen, zu veranschaulichen und zu erproben. Das hierfür entwickelte ID+Modell erlaubt einen neuartigen, detaillierten Blick auf diese Strukturen. Die Anwendung dieses Modells auf eine Situation befähigt die Modellierenden, auf Grundlage der Analyse von Akteuren und deren Beziehungen untereinander, strukturelle Besonderheiten und Defizite zu erkennen, aber auch Potentiale zu nutzen und zu erhöhen. Das ID+Modell ermöglicht so eine neue Art der Gestaltung interdisziplinärer Projekte.
Komplexe Kollaborationen lassen sich mit dem ID+Modell als ein Netzwerk aus Akteuren und Bindungen analysieren, modellieren und gestalten.
ID+Akteure
Basiselemente sind elf ID+Akteure, die sich in interdisziplinären Kollaborationen als wesentlich herausgestellt haben. ID+Akteure werden im Zusammenhang mit dem ID+Modell sowohl als menschliche, als auch als nicht-menschliche Akteure verstanden: Personen, Organisationen, Ereignisse, Aufgaben, Methoden, Werkzeuge, Themen, Quellen, Orte, Zeiten und Gelder. Neben existierenden konkreten Akteuren – den Aktualakteuren – können dabei auch unbekannte oder noch nicht klar definierte Akteure – die Potentialakteure – modelliert werden. Jeder einzelne Akteur hat seine eigene Agency und baut Bindungen zu anderen Akteuren auf und auch wieder ab. Situativ ergeben sich dabei sogenannte Akteurscluster.
ID+Bindungen
Die ID+Akteure vernetzen sich über semantisch definierte ID+Bindungen mit unterschiedlichen Status, Wert und Intensität. Beim Status wird unterschieden zwischen aktuell existierenden Bindungen – den Aktualbindungen – und noch nicht existierenden aber möglichen Bindungen – den Potentialbindungen. Die Potentialbindungen ermöglichen es, Wünsche, Möglichkeiten und Alternativen in die Modellierung mit aufzunehmen. Bindungen können ein positives als auch ein negatives Verhältnis ausdrücken. Ein positiver Wert verweist darauf, dass die Bindung zwischen den Akteuren für die bestimmte Situation förderlich ist; ein negativer Wert, dass sie eher als hinderlich einzuschätzen ist. Schließlich können Bindungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Intensität einer ID+Bindung kann dabei die Faktoren Zeitaufwand, Interesse und Expertise berücksichtigen.
ID+Ontologie
Mit den ID+Akteuren und den ID+Bindungen lassen sich komplexe interdisziplinäre Forschungszusammenhänge einheitlich und vergleichbar modellieren und analysieren. Damit die so entstehenden Modelle maschinenlesbar, visualisierbar und prozessierbar sind, wurde das ID+Modell in ein Graph-Datenmodell – der ID+Ontologie – transferiert. Die Modellierung wird formal in der Web Ontology Language (OWL) definiert. Dadurch wird die Nutzung durch andere Semantic Web Anwendungen ermöglicht und die Forschungsdaten werden für das Semantic Web und der Linked Open Data Cloud geöffnet.
Erfahre mehr über das ID+Modell
Weiterführende Informationen zum Konzept, zu den modellierungstheoretischen Grundlagen, einer Studie sowie theoretischen Reflexionen zum ID+Modell sind auf einer eigenen Webseite zu finden. Die Themen werden dabei in drei Spalten neben einander gestellt und durch Querverweise verbunden. Modell, Studie und Theorie werden so in ihrem spezifisch nichthierarchischen Verhältnis zueinander für den Leser erfahrbar gemacht.
Interdisziplinaritätsforschung
Mit dem ID+Modell können bestehende und historische interdisziplinäre Strukturen modelliert werden, die für die Erstellung der Forschungsergebnisse relevant waren. Mit diesen modellierten Strukturen wird es möglich, allgemeine Projektkonstellationen und Fortschritte zu bewerten und zu vergleichen, sowie Muster von erfolgreichen Konfigurationen in der interdisziplinären Forschung und Wissenschaft zu erkennen.
Projektmanagement
Das ID+Modell und dessen Visualisierung von interdisziplinären Kollaborationen ermöglicht Maßnahmen zur Korrektur und Optimierung von projektrelevanten Faktoren. Darüber hinaus werden so mögliche Verbindungen zu anderen Projekten sichtbar oder können hergestellt werden. Damit ist die Methode ein wertvolles Instrument, um entscheidende Faktoren für wissenschaftliches Projektmanagement und die Planung zu ermitteln und aktiv zu gestalten.
Enhanced Publications
Das ID+Modell ermöglicht es Teams, Ergebnisse und Daten ihrer Forschung zu veröffentlichen, sowie die Struktur, die diese interdisziplinäre Arbeit ermöglicht hat. Gerade letztere Information ist meistens schwer zu bekommen, aber sehr interessant für andere Forscher, die an ähnlichen Problemen arbeiten und trägt zur aktuellen Debatte über Open Science und Open Data bei. Zudem wird eine höhere Sichtbarkeit und Konnektivität der veröffentlichten Ergebnisse bzw. für die Autoren möglich.
Das ID+Lab entwickelt die interdisziplinäre Publikationsplattform ID+Stage, die eine neuartige Form von Enhanced Publications ermöglicht. Funktionselemente sind das Modellierungswerkzeug ID+App, die eine entsprechende ID+Publikation generiert, welche auf der Plattform selber, der ID+Stage veröffentlicht wird. Die ID+Ontologie als Modellierungsgrundlage ermöglicht die semantische Erfassung und Durchsuchbarkeit aller Daten.
ID+Publikation
Die Verbindung eines Forschungsergebnisses mit dem modellierten Entstehungskontext bildet die ID+Publikation. So werden nicht nur Forschungsergebnisse veröffentlicht, sondern auch deren Entstehungsprozesse offengelegt. Im ID+Modell werden Publikationen als Quellen-Akteure interpretiert – seien es nun Texte, Bilder, Videos, Objekte, Codes o.ä.. Die semantische Modellierung auf der Basis von RDF ermöglicht es, auch kleinste Publikationseinheiten (Nanopublikation) zu modellieren und zu veröffentlichen. Eine solchermaßen als Akteur angelegte Publikation, wird von den Modellierenden mit denjenigen Akteuren semantisch verbunden, die für ihre Entstehung als relevant eingestuft werden. Die Gesamtheit dieser sogenannten direkten Kontextakteure bildet den direkten Kontextraum einer Publikation.
ID+Backstage
Die Modellierung des Entstehungskontextes einer Publikation erfolgt ohne Vorkenntnisse durch die Forschenden selbst auf der ID+Backstage. Konkret geschieht dies in der Abfrage über einen strukturierten Fragendialog. Nacheinander werden einzelne Akteure und deren semantischen Bindungen in Bezug zum Entstehungskontext der Publikation abgefragt. Im Hintergrund werden diese Daten in ein maschinenlesbares Format übersetzt und gespeichert. Auf dem geschützten Bereich der ID+Backstage kann der Nutzer nicht nur ID+Publikationen anlegen, sondern erstellte Modellierungen und das Nutzerprofil verwalten und bearbeiten.
ID+Stage
Die ID+Publikationen werden auf der ID+Stage veröffentlicht – sie ist die Bühne, auf der sie in Aktion treten, sich mit anderen Akteuren verbinden und ihr Akteursnetzwerk entfalten. Über die in der ID+Ontologie festgelegten Strukturen und Regeln verbinden sich die direkten Kontexträume verschiedener Publikationen und dehnen sich zu großen indirekten Kontexträumen aus. Die ID+Stage ermöglicht durch Filter, statistische Kennwerte und einem Vergleichsmodus zur Darstellung des gemeinsamen Kontextraumes zweier ID+Publikationen die Exploration dieser komplexen Akteursnetzwerke.
Erfahre mehr über die ID+Stage
Eine zusammenfassende Beschreibung der ID+Stage ist im Paper „ID+Lab – Analyzing, Modelling and Designing“ zu finden. Dieses wurde 2018 im Online Journal Artnodes veröffentlicht.
Das ID+Lab ist ein Projekt des Interdisziplinären Labors Bild Wissen Gestaltung, Exzellenzcluster der Humboldt-Universität zu Berlin. Das Interdisziplinäre Labor ist ein Zusammenschluss aus Geistes-, Natur- und Technikwissenschaften, der Medizin und der Gestaltungsdisziplinen Design und Architektur. Mehr als 40 verschiedene Disziplinen forschen zu grundlegenden Gestaltungsprozessen der Wissenschaften. Das ID+Lab erforscht die Strukturen dieser interdisziplinären Zusammenarbeit, um sie besser zu verstehen, zu veranschaulichen und zu erproben.
In Kooperation mit dem Netzwerk Architekturwissenschaft e.V. wird der Einsatz des ID+Modells als Projektmanagement-Tool erprobt. Die 7 jährige Entwicklung des Netzwerkes wird retrospektiv modelliert und analysiert wird. Ziel ist es, die Besonderheiten und Dynamiken der Kollaboration der Netzwerkmitglieder herauszuarbeiten.
Zusammen mit der Jungen Akademie Berlin wird das ID+Modell als Analyseinstrument für historische Forschungskontexte erprobt. Exemplarisch wird hierfür das Forschungsnetzwerk des Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure (1857-1913) untersucht, modelliert und visualisiert.
Mit dem gamelab.berlin wird eine Umsetzung in eine VR-Umgebung geplant. Damit wird eine völlig neuartige Darstellung und Interaktion mit den Akteuren interdisziplinärer Forschungskollaborationen möglich.
In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Architekturtheorie der TU Berlin wird das ID+Modell für die Erforschung der genuin interdisziplinären Disziplin Architektur erprobt. Exemplarisch wird die aktuelle interdisziplinäre Architekturlehre als Akteursnetzwerk modelliert und dargestellt.